der klinische Fall
Fall Nr. 6

Dr. med. Konstantin Schraepler, Bremen

männlich,41j

  • Aufnahme über die Zentralambulanz
  • seit ca. 3 Tagen progrediente Dyspnoe
    • Sauerstoffsättigung beim Hausarzt ohne Sauerstoffgabe 86%
    • Sauerstoffsättigung in der Notfallambulanz unter 4 lO2/min. 97%
  • nicht-produktiver Husten
  • thorakales Druckgefühl
  • kein Fieber

Vordiagnosen?

Vormedikation?

  • schnell wirksames Insulinanalogon Novorapid® s.c.
  • lang wirksames Insulinanalogon Levemir® s.c.
  • Lisinopril Acerbon®p.o.
  • Rivaroxaban Xarelto® p.o.

und nun?

alles klar?

was ist davon überhaupt wichtig?

  • Morbus Hodgkin
    • autologe Stammzelltransplantation 04/2014
    • keine Erkrankungsaktivität seit 04/2014, durchgehend in Kontrolle
  • diffus großzelliges B-Zell-Lymphom
    • allogene Stamzelltransplantation vor > 600 Tagen
    • Immunsuppression vor > 300 Tagen beendet
    • komplette Remission 3/2016
  • Pfortaderthrombose
    • orale Antikoagulationtherapie mit Rivaroxaban (Xarelto®)

Differentialdiagnosen?

Erkrankung welchen Fachgebietes?

Blutentnahmen?

Blutbild 29.12. Normwert
Leukozyten 8.62 3.5-9.8 /nl
Hämoglobin 6.5 13.5-17.5 g/dl
Thrombozyten 40 140-360 /nl
Retikulozyten 5.9 0.6-1.6 %
Gerinnung
Quick 88.7 >70 %
APTT 27.7 <37 s
klinische Chemie 29.12. Normwert
GOT 30 <50 U/l
γ-GT 178 <60 U/l
LDH 728 <248 U/l
Kreatinin 6.85 <1.20 mg/dl
Harnstoff 225.5 <43 mg/dl

weitere Entnahmen?

Proteine 29.12. Normwert
Haptoglobin <0.10 0.3-2.0 g/l
Procalcitonin 2.77 <0.05 ng/ml
Troponin T 247.0 <14.00 pg/ml
pro-BNP >35000 <64 ng/l

Differentialdiagnosen?

Erkrankung welchen Fachgebietes?

Bildgebende Diagnostik?

Rö-Thorax

Pulmonalvenöse Stauung mit V.a. begleitende infiltrative Veränderungen bilateral paramediastinal in den Unterfeldern. Geringe Pleuraergüsse. Am ehesten gefäßbedingt betonte Hili beidseits.

CT-Thorax

Große Pleuraergüsse. Zeichen der Herzinsuffizienz mit mäßiger pulmonalvenöse Stauung. Pneumonischen Infiltraten bds. Die flauen fleckförmigen, beidseitigen und vorwiegend peripher glegenen Infiltrate imponieren nicht zwingend atypisch, sondern sind in der Ausprägung noch im Rahmen einer Bronchopneumonie vereinbar.

Echokardiographie?

... oder haben wir schon alles?


... fokussierte Untersuchung in der Akutsituation

Echokardiographie

Untersuchung von subcostal. Aufgrund von Flüssigkeitseinlagerungen nur sehr mäßige Untersuchungsbedingungen. Sinusrhythmus mit Kammerfrequenzen von 104/min. Kein Perikarderguß.

Echokardiographie

Moderat vergrößerter linker Vorhof (Fläche 30 cm²). Grenzwertig großer [LVEDD 56 mm], septumbetont leicht hypertrophierter [IVDd 1,3 cm] linker Ventrikel. Global moderat eingeschränkte linksventrikulärer Funktion [EBEF 40%]. Normwertig großer rechter Vorhof. Nicht vergrößerter, nicht hypertrophierter rechter Ventrikel mit erhöhten rechtsventrikulär-rechtsatrialen Gradient von 31 mmHg. Zumindest visuell unauffällige rechtsventrikuläre Funktion.

Lungensonographie

Über allen Volpicelli-Zonen B-Lines, passend zu kardialem Lungenödem. DD: Lungenfibrose, ARDS, Pneumonie bds.

Differentialdiagnosen?

Erkrankung welchen Fachgebietes?

welche ersten Maßnahmen?

  • nicht-invasive Maskenbeatmung
  • Versorgung mit arteriellen/ venösen Zugängen
  • Materialgewinnung für die Mikrobiologie
  • Einleitung einer antimikrobiellen Therapie

was habe ich noch nicht beachtet

und mir noch nicht erklärt?

  • die Anämie
  • die Thrombozytopenie
  • die LDH-Erhöhung
  • inklusive des niedrigen Haptoglobins
  • das Nierenversagen

weitere Diagnostik?

  • Blutausstrich
  • Coombs-Test
  • Urinsediment
  • Einbeziehung der Fachkliniken
    • Hämato-/Onkologie
    • Nephrologie

Blutausstrich

Blutausstrich

Verdachtsdiagnose?

  • Thrombotische Mikroangiopathie [TMA]:
    • Thrombotisch-Thrombozytopenische Purpura [TTP]
    • Transplantations-assoziierte Thrombotische Thrombozytopenische Purpura [TA-TTP]
    • Hämolytisch Urämisches Syndrom [HUS]
    • atypisches Hämolytisch Urämisches Syndrom [aHUS]
  • Sepsis
    • bakteriell
    • viral
    • mykotisch

Trigger im Routinelabor

  • Anämie
  • Hb typischerweise < 8 g/dl
  • Thrombozytopenie
  • Thombozyten i.d.R.< 60.000/µl, typischerweise keine Purpura oder aktive Blutungen
  • Quick, aPTT, D-Dimere und Fibrinogen i.d.R. normwertig
  • Abgrenzung von HUS/ TTP zur DIC
  • LDH, indir. Bilirubin und Retikulozyten erhöht, Haptoglobin vermindert
  • Bilirubin selten > 2-3 mg/dl
  • Harnstoff-N und Kreatinin deutlich erhöht
  • keine Korrelation zwischen Schweregrad der Anämie und Nierenfunktionsstörung
  • mäßige Leukozytose
  • selten > 20.000/µl

  Medizinischer Notfall 

Therapieansätze?

  • Sepsis
    • Gewinnung mikrobiologischer Materialien
    • antimikrobielle Therapie (antibakteriell, -mykotisch, -viral)
  • TTP ADAM-TS13-Aktivität: < 5%
    • Plasmapherese täglich("FFP-Dosis 60 ml/kg")
      • begleitend bzw. bei Nicht-Ansprechen:
        • Steroide
        • Rituximab Hemmung ADAM-TS13-Produktion der B-Lymphozyten
  • HUS Stuhl auf Shigatoxin-produzierend E. coli [STEC] positiv
    • Vermeidung Antibiotikagabe
  • atypische HUS ADAM-TS13-Aktivität: > 5%
    • Plasmapherese, Nutzen umstritten
    • Eculizumab Hemmung Aterminale Komplementaktivierung (C5)
Beneke J (2016) Nephrologe 11:183-190 Laurence J (2016) Clin Adv Hematol Oncol 14 Suppl11:2-15 Mariotte M (2015) Curr Opin Crit Care 21:593-601

umgehender Therapiebeginn:

  • antimikrobielle Therapie
    • antibakteriell
    • mit Abdeckung atypischer Keime (Legionellen, Mykoplasmen etc.)
    • antimykotisch
    • antiviral
  • Plasmapherese
  • solange TTP nicht auszuschließen war
  • Hämodialyse

Plötzlich:

Kribbelparästhesien rechte Hand gefolgt von passagerer Wortfindungsstörung und Mundastschwäche rechts

CCT

Kein Nachweis einer frischen intrakraniellen Blutung oder Infarktdemarkierung. Geringe hypodense Marklagerveränderungen möglicherweise bei Mikroangiopathie.

Beschwerden nach ca. 30 Minuten komplett rückgebildet.
Vor einigen Monaten bereits absolut gleichartige Episode.

  • V.a. lokales vasculäres Ereignis, kein sicherer Hinweis auf TTP

weiterer Verlauf

  • keine verminderte ADAM-TS13-Aktivität: Beendigung Plasmapherese
  • Beginn Eculizumabgabe bei hochgradigem Verdacht atypische HUS

CT-Abdomen

Keine pneumonischen Infiltrate mehr abgrenzbar. Deutlich regrediente Stauungszeichen. Große Pleuraergüsse beidseits. Rundliche Verdichtung im linken Oberlappen entspricht einer am ehesten mit dichteangehobener Flüssigkeit gefüllten Cavität.

aktuelle Diagnosen?

  • atypisches Hämolytisch-Urämisches Syndrom
    • mit akutem Herz-, Lungen- und Nierenversagen

dann Wiederaufnahme 16.01.:

Notfall auf peripherer Station. Patient plötzlich eingetrübt, führt frischblutig ab.

bei Übernahme

  • Patient komatös [GCS3], spontanatmend
  • Pupillen lichreagibel
  • Hb: 2,9 g/dl

Notfallversorgung:

  • Versorgung mit großvolumigen Zugängen
  • Volumengabe
  • Intubation
  • Erythrozytenkonzentratgabe
    • ungekreuzte sofort
    • Blutgruppe/ Kreuzprobe und Erythrozytenkonzentrate nachbestellen
  • Frischplasmen
  • Thrombozytenkonzentrate in Abhängigkeit der Thrombozytenanzahl
  • Notfallgastroskopie
    • Erythromycin 100 mg i.v. zur Magenentleerung umgehend
  • Pantoprazol-Bolus 80 mg i.v., gefolgt von 8 mg/h

was habe ich gelernt?

  • ich kann dem Patienten helfen, obwohl ich (noch) wenig vom Krankheitsbild verstehe
  • Röntgendiagnostik der Lunge bei Immunsuprimierten heißt HR-CT-Thorax
  • bei Konstellation Anämie, LDH-Erhöhung, Thrombozytopenie (± Nierenversagen) denke ich an eine TMA
  • eine TMA ist ein medizinischer Notfall der umgehend therapiert wird